Eine Pilgerreise auf dem Camino Francés - mit Wohnmobil, Roller und Wanderstock


 

Erster Teil: Mit dem Womo auf dem Camino Francés
von Pamplona bis Sarría


Dienstag, 10. Juli - Anreise von Italien über Frankreich nach Spanien

Novara bis Arenzano – 142 km


Nach schwerem Abschied von unserem Enkel und unserer Tochter am Flughafen von Malpensa beginnt nun unser eigentliches Reisevorhaben. Heiliger Jacobus, wir kommen!

Westlich von Malpensa verlassen wir die Lombardei und sind nun im Piemont. Wir fahren einige Kilometer durch den Parco Ticino mit herrlichen Wäldern, überqueren den Ticino mit seinem jadegrünen Wasser und stellen fest, dass unsere Reise in der Provinz Novara beginnt. Wie passend: Die spanische Provinz Navarra ist unser Reiseziel.

Wir durchqueren die Provinzhauptstadt Novara, die übrigens eine Partnerstadt von Koblenz ist. Der Turm des neoklassizistischen Doms mit seinen umlaufenden Säulengalerien fällt schon von weitem ins Auge. Die Stadt blickt auf eine sehr wechselvolle Geschichte zurück. Sie wurde von den Ligurern gegründet und wurde später römisches Munizipium. Im Mittelalter war sie erst eine freie Kommune, musste sich dann im 14. Jahrhundert der Herrschaft der Visconti unterstellen. Gemeinsam mit Mailand fiel die Stadt 1535 an Österreich, 1734 übernahm Sardinien die Kontrolle.

Einige Kilometer südlich von Novara durchqueren wir das Reisanbaugebiet von Vercelli  (größtes Reisanbaugebiet in Europa).

Abbildung oben: Manche Reissorten werden auf überfluteten Feldern angebaut. Das Überfluten wird durch kleine Dämme ermöglicht. Der Wasserstand muss regulierbar sein, man lässt ihn mit zunehmender Höhe der Pflanzen ansteigen; zur Ernte wird das Wasser abgelassen.

Eigentlich wollten wir auf einem Wohnmobilstellplatz in Alessandria übernachten, aber es ist noch früh am Abend, als wir dort ankommen, und so beschließen wir, weiter ans Mittelmeer zu fahren und westlich von Genua an der Riviera dei Fiori ein Plätzchen für die Nacht zu suchen.

Kurz bevor wir das Piemont verlassen, beginnt die typische Berglandschaft Liguriens (mit dicht bewaldeten Hügelketten und malerisch  dazwischen eingestreuten Dörfchen) und damit auch das übliche Tunnelhopping. Rein in den Tunnel, raus aus dem Tunnel, rein in den Tunnel, raus aus dem Tunnel…

Westlich von Genua sehen wir dann endlich vor uns das Mare Mediterraneum. Über dem Meer stehen rosa Wölkchen am noch hellen Abendhimmel – ich meine mich aus Pfadfinderzeiten zu erinnern, dass das Schönwetterwolken sind. Bestimmt!

In Arenzano verlassen wir die Autobahn und stellen uns auf den Parkstreifen rechts der Uferstraße vor Arenzano, der Via Aurelia di Levante (SS1), direkt an der Strandpromenade, mit herrlichem Blick aufs Meer und die abendlich erleuchtete Stadt Arenzano.


Mittwoch, 11. Juli 2007

Gestern Abend haben wir lange an der Strandpromenade von Arenzano gesessen – natürlich mit einem leckeren Gläschen Rotwein. Die Guardia Costiera und ein Feuerlöschboot fuhren auf und ab, ein Polizeihubschrauber kreiste über der Bucht. Klarer Fall, meint mein kriminalistisch geschulter Liebster, der italienische Staatspräsident ist hier – oder vielleicht der Papst? Auf der Promenade patrouillieren verdeckte Ermittler, die uns genau im Auge behalten. Die meisten von ihnen drehen kurz hinter unserer Bank um und spazieren erneut an uns vorüber. Eine Agentin mit goldenen Schuhen und Goldtäschchen, die mein Liebster gerne noch ein zweites Mal in Augenschein genommen hätte, kommt allerdings nicht mehr zurück. Schade. Jetzt können wir schlafen gehen. Sorgen um unsere Sicherheit müssen wir uns nicht machen, die anderen haben mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.

Am Morgen stellen wir fest, dass wir gut und ruhig geschlafen haben und machen uns schon zeitig um 8 auf die Socken. Unser Tagesziel ist Narbonne, und das ist noch ein gutes Stück von hier entfernt.

Arenzano bis Narbonne - 593 km

Berühmte Badeorte liegen an unserer Route entlang der Riviera dei Fiori wie Perlen an einer Kette aufgereiht: Savona, Albenga, Alassio, Imperia, San Remo, Bordighera. Wir sehen sie unter uns vorbeiziehen, während wir auf der Autostrada dei Fiori Richtung Westen auf Frankreich zu fahren.

Hinter Ventimiglia begrüßt uns La Grande Nation mit einem überwältigenden Blick auf Menton. Von Monaco sehen wir außer dem Autobahnschild nichts, denn die Autostrada zieht sich nun von der Küste ins gebirgige Hinterland zurück. Wir hätten den Grimaldis ja gerne mal zugewinkt und ihnen viel Glück für die nächsten Ehen und Eskapaden gewünscht…

Die Fahrt durch die Landschaft der Provence mit dichten Pinienwäldern, sanften, bewaldeten Hügeln und kleinen terracottafarbenen Ortschaften ist zwar wohltuend für die Augen, aber etwas eintönig.  Spektakuläre Ausblicke wie auf dem Foto unten sind eher selten.

Auf einem Rastplatz hinter Aix-en-Provence genehmigen wir uns unter Pinien die Reste unseres gestrigen Grillmahls: provencalische Bratkartoffeln – direkt aus der Pfanne - mit Sauerrahmdip und eine Kanne kalten Milchkaffee. Herrlich!

Von unserem schönen Rastplatz schauen wir auf ein Lavendelfeld. Zum Glück riechen wir es nicht – Lavendelgeruch erinnert mich immer an das Parfüm meiner Oma. Nichts gegen meine Oma – ich liebte sie, nur eben ihren Sonn- oder Feiertagsduft nicht.

Bei der Weiterfahrt hören wir uns den ersten Teil von Hape Kerkelings Beschreibung seiner Pilgerwanderung an. "Ich bin dann mal weg" - ein Buch, das man mit Genuss liest und ständig hin und her gerissen ist zwischen großem Interesse (bezüglich seiner Ausflüge in die Philosophie), tiefem Mitgefühl (bezüglich seiner diversen Aua-Zonen), Neugierde (bezogen auf den Menschen Kerkeling und sein bisheriges Leben) und Schmunzeln bis hin zum lauten Loslachen (wenn der Komiker und gute Beobachter zum Zuge kommt). Nun liest er uns also sein Tagebuch persönlich vor. Schwer zu sagen, was schöner ist. Ich würde sagen, man muss beides haben, Buch und CD. Erst das Buch lesen, um zu wissen, wo man ganz genau hinhören muss, um nicht etwas Wichtiges zu verpassen. Ich habe das Buch so aufmerksam gelesen, dass ich an mich halten muss, um Günther nicht ständig zu verraten, was als nächstes kommt.

Die an uns vorüber ziehende Landschaft wird nun von Zypressen und weiten Feldern und Wiesen beherrscht. Wir fahren durch die Cevennen, die das südöstliche Ende des Zentralmassivs markieren, der großen Plateauregion Mittelfrankreichs. Die alte Stadt Nimes lassen wir im wahrsten Sinne des Wortes links liegen. Nîmes wurde 121 v. Chr. von den Römern unterworfen und entwickelte sich dann – als das antike Colonia Augusta Nemausus – zu einer wirtschaftlich bedeutenden Siedlung. Im 5. Jahrhundert n. Chr. wurde die Stadt von den Westgoten zerstört, geriet im 10. Jahrhundert unter die Herrschaft der Grafen von Toulouse und fiel im 13. Jahrhundert schließlich an Frankreich. Wenn man diese kurzen Geschichtsabrisse liest, vergisst man allzu oft, dass dahinter immer furchtbare Schicksale stehen von Menschen, die ohne ihr Zutun in diese politischen Machtspielchen verwickelt wurden.

Hinter Nimes erfreuen wieder ausgedehnte Pinienwälder unsere allmählich müder werdenden Augen. Leider kommt auch schon wieder eine „Bezahlstation“ in Sicht. Günther findet, dass das auf diesem Autobahnstück wirklich „tierisch“ ist – zumal er mit seinem immer noch sehr schmerzenden rekonvaleszierenden linken Arm Mühe hat, die Tickets zu ziehen und das Geld in den entsprechenden Geldschlitzen zu deponieren. 35 Euro haben wir bis hierher – d.h. 28 km vor Montpellier - abdrücken müssen. Und jetzt kommen noch 7,30 Euro hinzu. Die nehmen’s von den Lebendigen, meint der Womochef. Recht hat er, aber von wem sollen sie’s sonst nehmen?

Südlich von uns liegt die Camargue. Günther meint, er hätte auch schon zwei wilde Pferde gesehen - woran mag er erkannt haben, dass sie wild sind??? Egal, allein der Glaube zählt.

Jetzt sind wir im Departement Herault, das zur Region Languedoc-Roussillon gehört, einer welligen Hügellandschaft mit zahlreichen Flussläufen. Ah, ich erinnere mich: Von hier kommt der leckere und preiswerte Rotwein, den wir so oft im Urlaub getrunken haben. Ich schreib’s und sehe beim Aufblicken die ausgedehnten Weinplantagen rechts und links der Autobahn.

Die Languedoc nahm früher einen Großteil Südfrankreichs ein. Die römische Besetzung vom 1. bis 4. Jahrhundert ließ die Region zu einem kulturellen und geistigen Zentrum werden. Es besaß eine eigene Sprache (die langue d’oc) und eine eigene Kultur, die auf die Katharer zurückgeht. – Die Geschichte der Katharer, über die ich viel gelesen habe, ist faszinierend. Die Gemeinschaft der Katharer war eine weit verbreitete religiöse Bewegung des Mittelalters. Sie zeichnete sich durch das Einhalten einer strengen Askese aus und vertrat eine dualistische Theologie, der zufolge das Universum aus einer von Gott geschaffenen spirituellen und einer vom Satan beherrschten materiellen Welt besteht. Ihre stärkste Gefolgschaft versammelten die Katharer hier in Südfrankreich, wo sie meist Albigenser hießen. Fast der gesamte Adel zählte zu ihren Anhängern. Als die Grafen von Toulouse und Foix sich gegen die katholische Kirche und den König von Frankreich wandten, kam es zu den Albigenserkriegen (1209-1229). Der Rückgang der Bewegung erklärt sich jedoch nicht nur durch die Verfolgung durch die Inquisition, sondern auch durch die Verbreitung der Bettelorden, insbesondere der Franziskaner. Hatten nicht auch die Templer etwas gegen die Katharer? Irgendwas schlummert da in meinem Hinterkopf; ich muss das unbedingt mal nachlesen. Auf jeden Fall waren die Tempelritter in dieser Gegend hier auch sehr aktiv.

Gegen 4 Uhr kommen wir in Narbonne an, wo unsere heutige Tagestour zu Ende ist. Auf dem Womo-Stellplatz in Narbonne-Plage wollen wir heute übernachten.

Narbonne ist ein Umschlagszentrum für Wein und ein bedeutender Industriestandort. Zu den historischen Sehenswürdigkeiten gehören Überreste aus der Römerzeit, die Kathedrale Saint-Just (Baubeginn 1272, bis heute unvollendet) sowie der ehemalige erzbischöfliche Palast (13. Jahrhundert), in dem sich heute das Rathaus und ein Museum für Kunst und Archäologie befinden.

118 v. Chr. wurde Narbonne die erste Kolonie der Römer in Gallien. Vom dritten Jahrhundert bis 1801 war die Stadt Sitz eines Erzbischofs. Im fünften Jahrhundert wurde sie von den Westgoten und 719 von den Sarazenen erobert. Bis zu Beginn des 14. Jahrhunderts besaß sie einen großen Hafen, der jedoch später versandete. 1507 ging Narbonne an die französische Krone über.

Kathedrale Saint-Just

Bevor wir zum Wohnmobilstellplatz in Narbonne-Plage fahren, wollen wir noch Mineralwasser und Brötchen kaufen. Gleich bei der Autobahnausfahrt ist ein Carrefour-Supermarkt, wo man fast alles bekommt, was das Herz begehrt. Als wir den Parkplatz des Einkaufszentrums verlassen, macht es laut vernehmlich „plop“ an unserem Womo. Was war das? Nix, meint mein Gemahl, alles in Ordnung. Aber von nun an hören wir ein rumpelndes Geräusch…

Nachdem wir auf dem Stellplatz, der direkt am Strand von Narbonne liegt und Platz für mindestens 100 Womos bietet, angekommen sind, suchen wir uns ein annehmbares Plätzchen für unseren Hiram. Schatten gibt es hier nicht, aber es weht ein kühles Windchen, so dass man es auch in der Sonne aushalten kann.

Stellplatz-Nr. 9543

Aire Communale

 

Straße:

Route de Gruissan 

Land-PLZ-Ort:

F-11100 Narbonne, Ortsteil Narbonne-Plage

geöffnet von-bis

ganzjährig

 

max. Aufenthalt

24 Std.

 

Anzahl

30

 

Gebühren

7,00 € (2007)

 

Ver- und Entsorgung

Bodeneinlass, FriWa-Zapf, Fäk-Ents., WC, Müllcontainer

 

Hinter einer kleinen Düne liegt das Meer, dem wir jetzt unbedingt unsere Aufwartung machen wollen. Nach einer regelrechten Wanderung über den superbreiten (ca. 50 m) Sandstrand, erreichen wir die Waterkant, begierig auf ein kühles Bad im Mittelmeer. Kühl ist jedoch eine starke Untertreibung für das Eiswasser, in das wir uns da begeben. Brrr!!! Günther – mein Held - dippt seinen Astralkörper nur kurz hinein, während ich mich zu sehr vor Erfrierungen an edlen Körperteilen fürchte, und es nur bis Mitte Oberschenkel schaffe. Unglaublich, wie kalt das Meer noch im Juli ist! Es hat höchstens 17 oder 18 Grad (was uns wenig später Womo-Kollegen auf dem Platz bestätigen). Das war also ein Satz mit X.

Und dann stellen wir auch noch fest, dass wir Anrecht auf einen fragwürdigen Titel haben: Pechvögel des Tages! Das „Plop“ am Supermarkt war ein geplatzter Reifen. Suuuuper!

Mit der tatkräftigen Hilfe von zwei herbei eilenden Womo-Kollegen wird die Panne behoben, aber nun haben wir keinen intakten Reservereifen mehr, und das ist uns überhaupt nicht geheuer.

  

Nachdem Günther sich wieder in einen ansehnlichen Ehemann verwandelt hat, genießen wir unser abendliches Grilldinner. Bei einem Verdauungsspaziergang über den Platz – den machen hier, wie’s scheint alle,  treffen wir auf einen der Womo-Samariter von vorhin und werden eingeladen, uns zu der kleinen Runde vor seinem Mobil zu gesellen. Also hole ich unsere Stühle, und ein Fläschchen guten alten Grappa kommt auch noch mit. Der Schreck muss begossen werden! Es ist nett und gemütlich bei den Wohnmobilisten aus Heinsberg, die übrigens Freunde in Bad Honnef haben. Während der Unterhaltung muss ich mir wohl das eine oder andere Gläschen Grappa eingeschüttet und es wohl auch getrunken haben…

Donnerstag, 12. Juli 2007

O-oh! Nie wieder Alkohol! Heute Morgen fühle ich mich nicht wie andere Frauen.

Wir haben beschlossen, zwei neue Reifen für unseren Hiram zu kaufen. Ein Anruf beim ADAC hilft uns mal wieder weiter. Der ADAC-Mitarbeiter sucht uns einen Reifenhändler in Narbonne heraus und fragt dort auf unser Bitten auch an, ob die richtige Reifengröße auf Lager ist. Zum Glück ist das der Fall, und wir begeben uns erleichtert auf die – etwas nervende – Suche nach der Firma Euromaster, die sich in einem Winkel in der Route de Pergignan versteckt hat.

Die Reifenaktion dauert bis 12 Uhr, so dass wir mit einer riesigen Verspätung unsere heutige Tagestour, die uns nach Pamplona bringen soll, antreten.

Narbonne - Pamplona, 578 km

Die Fahrt durch die Languedoc tut den Augen und der Seele gut. Grüne Hügel, goldene Getreide- und leuchtend gelbe Sonnenblumenfelder, dazwischen Pinien, Zypressen, Birken, Weiden u.v.a. Laubbäume, beschauliche Dörfchen und immer wieder altehrwürdige Gemäuer aus vergangenen Jahrhunderten.

Von einem schön angelegten Rastplatz, auf dem wir eine kurze Räkelpause einlegen, hat man eine hervorragende Sicht auf die Altstadt von Carcassonne.

So schön sind hier die Rastplätze

Blick auf die Oberstadt von Carcassonne

Carcassonne Die von einer doppelten Ringmauer umgebene Oberstadt von Carcassonne ist ein großartiges Beispiel für eine befestigte mittelalterliche Stadt in Europa. Einige Bauten stammen aus dem 5. Jahrhundert, der Ära der Westgoten, andere aus dem 11. bis 13. Jahrhundert. Sehenswert sind die Burg aus dem 12. Jahrhundert und die Kirche Saint-Nazaire (11.-14. Jahrhundert). 

An der Stelle der Oberstadt befand sich einst eine römische Siedlung, die im 5. Jahrhundert unter die Herrschaft der Westgoten kam. Im 8. Jahrhundert fiel die Stadt an die Franken. Während der Kreuzzüge gegen die Albigenser wurde Carcassonne von den Anglonormannen unter Simon de Montfort erobert, der die Einwohner töten ließ. Die Stadt ging 1247 in den Besitz der französischen Krone über. Zu jener Zeit gründete der französische König Ludwig IX. die neue Stadt (Unterstadt) am anderen Ufer der Aude.

Alle Einwohner der Stadt niedergemetzelt! Das Mittelalter war schon eine grausige Zeit, denke ich, aber ist unsere Neuzeit eigentlich nicht auf ihre Art noch schlimmer? Die Methoden der Menschen, einander umzubringen und zu quälen, sind „perfekter“ geworden.

Nach der Languedoc durchfahren wir die landschaftlich ebenso schöne Region Midi Pyrenées, zu der auch das Département Haute Garonne gehört, dessen Hauptstadt Toulouse ist. Unsere Route streift die Stadt allerdings nur, und wir sehen lediglich hässliche Wohnsilos.

Toulouse ist Hauptstadt der Region Midi-Pyrénées und Verwaltungssitz des Départements Haute-Garonne. Im Mittelalter war die Stadt Hauptstadt der Region Okzitanien. und bis zur Französischen Revolution offizielle Hauptstadt der Provinz Languedoc.

Seit den 1980er Jahren hat sich Toulouse zu einem der bedeutendsten Luftfahrtzentren der Welt entwickelt. Etwa 34.000 Beschäftigte arbeiten in diesem Industriezweig, welcher in Toulouse bereits eine lange Tradition hat.

Bei der Fahrt durch die Regionen Haute Pyrénées und Pyrénées-Atlantiques begleitet uns die Gebirgskette der Pyrenäen links, sprich südlich, der Autobahn.

Hinter Tarbes – wir haben jetzt etwa die Hälfte der Tagestour geschafft – machen wir eine Rast und freuen uns auch diesmal über den schön angelegten sauberen Rastplatz. Daran könnten wir Deutschen uns ein Beispiel nehmen. Wir sind schon lange nicht mehr die Saubermänner Europas.

Im Département Aquitaine fahren wir dann wieder durch eine hügelige Parklandschaft: grüne Wiesen, kleine Wäldchen, Maisfelder, Weingüter, kleine, in der Sonne blitzende Seen und Flussläufe. Mein Vater nannte eine solche Gegend immer „Sonntagslandschaft“. Das passt hier genau, zumal der Himmel darüber so freundlich blau leuchtet.

Um Viertel vor 7 kommen wir in Biarritz an der Atlantikküste an. Es ist 22 Jahre her, dass wir hier mit den Kindern waren und Bekanntschaft mit Öhm Joe und Old Windy (die äußerst treffenden Namen waren der reichen Phantasie des Womo-Chefs zu verdanken) machten - zwei illustre Gestalten, die wir täglich sahen und die perfekt in einen Harry Potter-Roman gepasst hätten.

Wir sind nun in den Pays Vasques, dem Baskenland, und kurven durch die Bergwelt der Pyrenäen auf der Straße N 121A in Richtung Pamplona. Ein kleiner, grün in der Sonne leuchtender Gebirgsfluss begleitet unsere Fahrt. Günther meint: Das ist hier ja schöner als bei uns an der Ahr. Anders schön, sage ich jetzt mal. Ich bin eine Lokalpatriotin!

Die Ortsnamen auf den Straßenschildern sind teilweise sehr ungewöhnlich. Zizurquil, Azpirotz, Uitzi, Etxarri... Das muss Baskisch sein.

Die baskische Sprache ist die einzige lebende vorindogermanische Sprache in Westeuropa. Sie wird von etwa einer Million Basken gesprochen, die in Nord- und Mittelspanien (im Baskenland und in der Provinz Navarra) und im Departement Pyrénées-Atlantiques in Südwestfrankreich leben. Alle Versuche, das Baskische einer Sprachfamilie zuzuordnen, sind bisher gescheitert. Die Mehrheit der Sprachwissenschaftler geht davon aus, dass Baskisch eine isolierte Sprache ist, zu der es keine bekannten verwandten Sprachen gibt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde Baskisch im alten Aquitanien, dem Gebiet der Gascogne in Frankreich, gesprochen. Nach dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) wurde der Gebrauch des Baskischen in Spanien durch das Franco-Regime unterdrückt. Bücher in baskischer Sprache wurden öffentlich verbrannt und baskische Namen verboten. In den sechziger Jahren änderte sich diese Politik allmählich. Messen in der Kirche sowie Rundfunk- und Fernsehsendungen auf Baskisch wurden erlaubt. 1979 übernahm das für das Unterrichtswesen zuständige Ministerium die Verantwortung für Unterrichtsprogramme in baskischer Sprache für alle Unterrichtsstufen. 1980 wurde das erste baskische Parlament gewählt und Euskara, die Sprache der Basken, in den baskischen Provinzen neben Spanisch als Amtssprache anerkannt. Die baskische Separatistenorganisation ETA setzt sich seit Ende der fünfziger Jahre, auch mit Waffengewalt, für einen von Spanien unabhängigen Baskenstaat ein.

Hier ist es wunderschön. Ich finde, die Basken leben wie Gott in Frankreich. Warum schmeißen die bloß so viele Bomben? Nicht zu begreifen, dass diese Menschen wegen ihres fanatischen Nationalbewusstseins solche Verbrechen an ihren spanischen Mitbürgern begehen, obwohl sie doch glücklich und zufrieden in ihrem zauberhaften Ländchen leben könnten. Spanisch oder Baskisch, ist das nicht total egal, wenn es einem gut geht? Aber, was weiß ich - ich bin ja nicht als Baskin groß geworden.

Das kleine gewundene Sträßchen, das uns so gut gefallen hat, mündet schließlich in eine breite, gut ausgebaute Straße, auf der die Lastwagen Richtung Frankreich brettern. Leider ist auch unser Gebirgsflüsschen in einer anderen Richtung weiter geflossen.

Wir sind nun in der spanischen Region Navarra.

Navarra, eine autonome Region im Nordwesten Spaniens mit der Hauptstadt Pamplona hat eine geringe Bevölkerungsdichte, die Einwohner leben überwiegend am Ebro. Die landwirtschaftlichen Hauptprodukte sind Wolle, Milch, Getreide, Gemüse und Trauben. In den Pyrenäen hat die Forstwirtschaft Bedeutung. Die heutige Region Navarra und das französische Departement Pyrénées-Atlantiques bildeten im Mittelalter das Königreich Navarra. 1589 fiel der nördliche Teil des Königreiches an Frankreich.

Ab Berroeta fahren wir parallel zum Camino Baztanés (auch Ruta del Baztan genannt), einer der Varianten des Jakobsweges, die die von Norden kommenden Pilger nehmen können und die von Bayonne (auf Baskisch: Baztan) nach Pamplona führt. Der Camino Baztanés stößt in Arre (nördlich von Pamplona) auf den Camino Francés.

Gegen halb neun sind wir am Ziel unserer heutigen Fahrt angekommen, dem Campingplatz Ezcaba, 7 km nördlich von Pamplona. Hier ist die Hölle los. Junge Leute aus England, Amerika und wer weiß woher bevölkern den Platz, viele von ihnen in der typischen Kleidung der Mozos: weiße Hose, weißes Hemd oder T-Shirt, rote Schärpe um die Hüften, rotes Halstuch. Die Mädels variieren die Tracht mit oftmals recht flippigen Teilen. Ein Event-Reiseunternehmen hat hier die Sache voll im Griff.

Campingplatz

Camping Ezcaba

Services

31194 EUSA / Navarra

geöffnet

ganzjährig

Telefon

+34 948 33 03 15

Fax

+34 948 33 13 16

Email

info@campingezcaba.com

Services

Gaststätte / Restaurant, Öffentlicher Fernsprecher, Waschmaschinen, Trockner FriWa-Zapf, Fäk-Ents., WC, Müllcontainer

Wir hatten Glück im abgrundtiefen (der Abgrund lag immerhin fast 70 cm über dem Schlafzimmerboden!) Unglück von Günthers Bettensturz. Da wir die Reise erst 6 Wochen später antreten konnten, sind wir nun genau in der Woche in Pamplona angekommen, in der das Namensfest des Heiligen Firmin gefeiert wird.

Die Sanfermines haben drei geschichtliche Hintergründe. In erster Linie werden sie zu Ehren des Hl. Firmin d.Ä. gefeiert, einem Sohn der Stadt, der ca. im dritten Jahrhundert n.Chr. die Gegend um Amiens (Frankreich) missionierte. Kurioserweise ist San Fermin weder der Schutzheilige Pamplonas (das ist San Saturnino) noch der der Region Navarra (diese Ehre kommt San Francisco Javier zu). Nicht einmal das Datum der Festlichkeiten fällt auf den ursprünglichen Gedenktag des Heiligen am 10. Oktober; im Jahr 1591 entschied man in Pamplona, das Fest, das schon seit 1324 gefeiert wurde, wegen des schlechten Wetters im Oktober auf den 7. Juli zu verlegen.

Die Art der Festlichkeiten wurzelt in den mittelalterlichen Jahrmärkten (ferias) sowie in den Stierkämpfen (corrida de toros). Damals wurden die Stiere von Hirten zur Plaza de Toros in die Stadt getrieben. Der spanische Stierkampf ist das letzte Relikt jenes vorzeitlichen Rituals, das in aller Regel die Tötung eines Stieres in den Mittelpunkt der Handlung stellt.

Der Chupinazo (baskisch: Txupinazo) ist der offizielle Beginn der Sanfermines. Am 6. Juli versammeln sich abertausende Festgäste vor dem Rathaus in dichtem Gedränge, um dort den Startschuss der kleinen Rakete (cohetes) um Schlag 12 zu erwarten und zu feiern. Eine örtliche Persönlichkeit wird auserkoren, diese Rakete zu zünden und danach mit dem Spruch "Viva San Fermín, Gora San Fermín" ("Lang lebe San Fermin" auf Spanisch und Baskisch) die Festwoche offiziell auszurufen. Das Tragen der roten Halstücher, Teil der typischen Kleidung, ist vor Beginn der Fiesta eher unüblich.

Am 7. Juli um 10 Uhr wird im Rahmen einer Prozession eine große Figur des Schutzheiligen San Fermín durch die Altstadt Pamplonas getragen. Während kurzer Pausen singen die Teilnehmer zu Ehren ihres Patrons. Diese Prozedur dauert etwa 1 1/2 Stunden, bis der Zug an der Kirche San Lorenzo ankommt. Dort wird anschließend in der Kapelle des San Fermín Messe gehalten. Für einige Bürger ist dieser religiöse Aspekt einer der Wichtigsten des Festes.

Der Encierro ist das Eintreiben der sechs Kampfstiere in die Stierkampfarena. Hierbei handelt es sich um eine Strecke von 825 m, die hauptsächlich durch die Altstadt Casco Viejo von Pamplona führt.

Der Encierro (Einschluss, weil die Straßen mit Holzbarrieren abgeriegelt werden) findet täglich zwischen dem 6. und 14. Juli um 08:00 Uhr statt und dauert bei komplikationsfreiem Ablauf ca. drei Minuten. Sobald der Startböller Punkt acht Uhr ertönt, begeben sich die sechs Stiere mit einem Dutzend Kühe (mit Kuhglocken) auf die Strecke und rennen in Richtung Plaza de Toros (Stierkampfarena von Pamplona). Der Kick für die Teilnehmer ist es, eine kurze Wegstrecke möglichst neben einem Stier herzulaufen. Auf Grund der hohen Geschwindigkeit ist dies jedoch nur für zehn, max. zwanzig Meter möglich.

Traditionell trägt jeder Läufer (mozo) ein weißes Hemd und eine weiße, enganliegende Hose mit einem roten Halstuch (pañoleta) sowie einer roten Schärpe (faja). Viele erfahrene Teilnehmer laufen mit einer zusammengerollten Zeitung, um den Abstand vom Stier zum Läufer zu verlängern und den Stier am Hals in Richtung Arena zu lenken.

Einige Minuten vor Beginn des Laufes singen einige Läufer, die so genannten "Peñas", je dreimal vor der Statue des Patrons San Fermín in der Cuesta de Santo Domingo den Text A San Fermín venimos, por ser nuestro patrón, nos guíe en el encierro, dándonos su bendición. ¡Viva San Fermín! Gora San Fermín! ("Wir kommen zu San Fermín, denn er ist unser Schutzheiliger, möge er uns während des Laufes leiten und uns seinen Segen geben. Es lebe San Fermín!").

Der gefährlichste Teil ist die Cuesta de Santo Domingo. In dieser Enge passieren für gewöhnlich die meisten Unfälle. Mit jährlich steigender Teilnehmerzahl steigt auch die Verletzungsgefahr, da sich immer mehr Menschen auf der Strecke und den Fluchtwegen tummeln. Oft fallen Menschen und manchmal kollidieren Stiere mit Menschen, was zu Verletzungen führen kann. Seit 1900 starben ungefähr ein dutzend Personen, die an der Mutprobe "Encierro" teilnahmen.

Die Tiere müssen beim Encierro große Angst, Panik und Schmerzen durch Schläge und Stürze erleiden. Nach dem Eintreiben haben die sechs Stiere genau zehn Stunden Zeit, um sich am selben Abend in der Stierkampfarena der Mannschaft des Matadoren nach altem Ritual in einem Todeskampf zu stellen. Der Kampf endet für den Stier meistens tödlich. Die Einnahmen aus den Eintrittskarten der Arena und dem Verkauf des Stierfleisches kommen karitativen Zwecken zu Gute.

Nach dem Encierro gibt es Umzüge mit Cabezudos (Großköpfe) und Gigantes (Riesen), den "Reyes y Reinas", das sind ca. vier Meter große Riesenfiguren, die dem alten Leitbild des Mittelalters, den Königen von Europa, Afrika, Amerika und Asien entsprechen sollen.

Das Fest endet am 14. Juli dort, wo der Trubel auch angefangen hatte, auf der Plaza Consistorial vor dem Rathaus. Die Menge versammelt sich mit Kerzen und singt das "Pobre de Mí":

Pobre de mí
pobre de mí
que se han acabado
las fiestas de San Fermin

(Ach ich Armer,
ach ich Armer,
das Fest von San Fermin
ist vorbei!)

Damit beweinen sie das Ende des Festes und erwarten das nächste Jahr, welches erneut den Trubel in die Stadt bringen wird.

Ernest Hemingway machte übrigens durch seinen Roman Fiesta nicht nur die Stierläufe, sondern auch die ihn faszinierende Stadt weltberühmt.

Der Campingplatz Ezcaba ist brechend voll - und die Preise sind auch zum Brechen. 48 Euro müssen wir für eine Nacht zahlen. Dafür gibt’s ein Armbändchen für jeden, für uns sogar ein goldenes, das auf dem Platz getragen werden muss. Die meisten anderen haben rote Bändchen und zahlen vermutlich viel weniger. - Alles klar, dann ist unseres mit Sicherheit das All Inclusive-Bändchen. :-) Dafür ist der Preis doch ganz okay. Gehen wir also heute mal all-inclusive essen. Pizza wunnebar! Aber - was soll ich sagen? – wunderbar ist doch nicht ganz das richtige Adjektiv. Wundersam wäre passender. Ein großer einladender Pizzaofen steht zwar mitten im Openair-Lokal, aber die Pizza kommt aus der Tiefkühltruhe und wird im Elektro-Backofen gebacken. Von den angebotenen 6 Sorten gibt’s nur drei. Wir entscheiden uns für eine Variante mit Jambon – Schinken. Lange warten wir auf die Pizzen, freunden uns in der Zwischenzeit fast schon eng mit zwei Österreicherinnen an, die uns die gesamte Leidensgeschichte ihres diesjährigen Urlaubes erzählen. Es ist so unterhaltsam, dass wir unsere Pizzen darüber fast vergessen.  Als Günther nachfragt, sind sie tatsächlich fertig. Doch, oh Wunder, aus den beiden Schinkenpizzen sind drei Peperonipizzen geworden, die wir angeblich bestellt haben. Jetzt wird Günther sauer. Sein Bier (6 Euro) hat auch nicht geschmeckt – und das ist ja fast noch schlimmer… Wir wollen eure Peperonipizzen nicht! Nachdem wir unser Geld (9 Euro je TK-Pizza) zurückbekommen haben, ziehen wir heim zum Womo, kochen selbst. – Eigener Herd ist Goldes wert (oder 18 Euro). Wir finden’s sowieso bei uns viel leckerer und beschließen, alle Leute, die im Internet unsere Berichte lesen, vor diesem Campingplatz zu warnen. Hiermit geschehen.

Während wir unser home made Dinner genießen, beobachten wir das bunte Treiben auf dem Campingplatz. Um uns herum tummelt sich die Jugend der Welt in Weiß und Rot. Amerikaner, Japaner, Holländer, Franzosen, Spanier... Hier ist alles vertreten, was meint, den Helden spielen zu müssen. Der Wahnsinn hat sogar Methode. Es gibt ein von "Fanatics" organisiertes Camp für die Heridos des Encierro, und für die Schaulustigen (dazu gehören wir ja irgendwie auch) wird ein geführter "Walk of the Bullrun" angeboten. Da spaziert man gemütlich mit Guide über die Strecke des Encierro - ohne Bullen, versteht sich. Es ist nicht zu fassen, womit Reiseunternehmen heute den Leuten ihr Geld (oder hier wahrscheinlich eher das der Eltern...) aus der Tasche ziehen.

Die Japaner sind natürlich auch mit von der Partie - die Tradition der Kamikaze-Kämpfer verpflichtet.

Nach neuerlichem Gedankenaustausch mit Österreich begeben wir uns ins Bett, denn wir müssen morgen um 6 aufstehen, um pünktlich zum Encierro, dem Stierrennen, in Pamplona zu sein.  

Freitag, 13. Juli 2007 

Um 6 reißt uns der Handy-Wecker mit dem Brings-Song „Su lang mer noch am Lääve sin“ jäh aus den Träumen. Wie passend… Draußen ist es noch dunkel, aber die „Encierro-Pänz“ sind auch schon alle in Action, machen sich fertig für den Bullrun um 8 – genau wie wir. Wir sind zwar noch müde, aber wir sagen uns: Auf in den Kampf, Torero!

Logo der Sanfermines 2007

Um Viertel nach 7 sind wir mit dem Roller unterwegs nach Pamplona. An der Calle Nueva stellen wir unseren Fury ab und erkundigen uns, wo man den Encierro sehen kann.

Strecke des Encierro in Google Maps

 
Größere Kartenansicht

An der Plaza Consistorial mit dem Blumen geschmückten barocken Rathaus von 1754 stehen wir dann gemeinsam mit dem spanischen Fernsehen und warten auf den Startschuss des Stierlaufs. Doppelte hohe Holzbarrieren verhindern eine Gefährdung der Zuschauer durch die vermutlich verängstigten, auf jeden Fall aber provozierten Stiere und gewährleisten, dass die Mozos, die sich in Sicherheit bringen wollen oder verletzt werden, unbehindert von den Zuschauern in den Zwischenraum zwischen den beiden Schutzzäunen springen oder - im schlechteren Fall - transportiert werden können. Die Barrikaden behindern allerdings unsere Aussicht auf den Encierro erheblich, zumal viele Zuschauer wie die Hühner auf der Stange darauf Platz genommen haben.

Punkt 8 Uhr ertönt der Startschuss, und dann geht alles sehr schnell. Der Encierro ist ganze 825 m lang, und daher ist die Hatz in knapp 4 Minuten vorüber. Durch die Barrieren sehe ich nur Stier- und weiße Hosenbeine. Die folgenden Bilder vom Stierlauf habe ich mir darum aus dem Internet geholt.

 

Eine Szene allerdings, die sich genau vor mir abspielt, und die auch anschließend mehrfach im Fernsehen gezeigt wird, kann ich genau gesehen: Einer der Burschen, die mit den Stieren rennen, tritt von der Seite her nach einem Stier. Die ganze Geschichte hier ist schon übel genug, aber das ist wirklich die Höhe.

Ein Mozo wurde offensichtlich verletzt - der Kameramann filmt wie wild. Nach dem Rennen bringen Sanitäter den Verletzten zum hinter uns wartenden Rettungswagen. Die Zuschauer klatschen anerkennend. Ein Held! Für mich ist er ein Idiot. Warum bringt so ein Junge sich ohne Not in Gefahr? Wie mögen seine Eltern wohl darüber denken?

Der Verletzte ist, wie ich später in einer spanischen Zeitung lese, ein 23-jähriger Mexikaner namens Rafael Estrada.

Der 23-jährige Rafael Estrada Ávila wird diesen Tag sicher nicht vergessen. Der sechste Tag der Feria de San Fermin in Pamplona wäre fast sein letzter gewesen. Der Patient ist nach Auskunft des Krankenhauses aber inzwischen auβer Lebensgefahr. Die Operation dauerte drei Stunden, wie die Zeitung Milenio berichtet. Der Kommentar des Jünglings zu dem Vorfall:

“Wir Mexikaner haben vor nichts Angst”

(Quelle: Website "InfoMexico")

Wenn man das liest, kann man sich nur noch an den Kopf fassen...

Nach dem Encierro schlendern wir durch Pamplona. Rund um uns herum ist alles weiß und rot. Fast jeder trägt hier die angesagte Gewandung der Sanfermines. Erstaunlich, dieser Lokalpatriotismus!  Günther zieht einen Vergleich mit dem rheinischen Karneval. „Da läuft doch nicht mal die Hälfte der Bevölkerung verkleidet durch die Straßen.“ Na ja, der Vergleich hinkt nun aber doch ein bisschen, oder? Sich weiß-rot in Schale zu werfen, ist ja wohl etwas anderes als ein bekennender Jeck zu sein.

 

Um hier nicht allzu unangenehm aufzufallen, kaufen wir uns wenigstens ein rotes Halstuch, das ich gut sichtbar an meiner Tasche verknote.

An der Kathedrale angekommen stellen wir fest, dass sie erst ab 10 geöffnet ist. Also suchen wir nun in aller Ruhe den Busbahnhof, von wo um 9.30 Uhr die Prozession der Gigantes und Cabezudos losmarschiert. Wir haben noch massig Zeit bis dahin und genehmigen uns darum in aller Ruhe in einem Straßenlokal einen Milchkaffee und werfen einen Blick in den Reiseführer.

Pamplona wurde um 75 v. Chr. von den Römern gegründet. Der strategische Vorposten der Basken wurde 476 n. Chr. von den Westgoten erobert, kam Anfang des 8. Jahrhunderts unter maurische Herrschaft und wurde schließlich dem Reich Karls des Großen einverleibt (778). 905 wurde die Stadt Hauptstadt des Königreiches Navarra. Philipp II. von Spanien baute die Stadt zur Festung aus (1571). Während des Spanischen Unabhängigkeitskrieges (1808-1814) wurde sie jedoch zweimal eingenommen: zuerst 1808 von den Franzosen und 1813 von den Briten.

Die Gigantes und Cabezudos erscheinen pünktlich um halb 10 vor dem schönen alten Busbahnhof Pamplonas und ziehen wirklich eine nette Show ab. Mir gefällt vor allem die baskische Musik, zu der sie tanzen. Wir begleiten sie eine ganze Weile auf ihrem Weg ins historische Zentrum von Pamplona.

 

 

   

Anschließend bummeln wir noch eine Zeit lang durch die Altstadt, schauen uns die Zitadelle und die Plaza de Toros an und besichtigen die  mittelalterliche Wehrkirche San Nicolás (1117 erbaut).

Zitadelle Plaza de Toros - Stierkampfarena

 

San Nicolás

Um 10 öffnet sich dann auch endlich das Portal der Kathedrale (14./15. Jh.), die einen sehenswerten gotischen Kreuzgang hat. Schade, wir haben unsere Pilgerausweise nicht dabei. In der Kathedrale werden wir gefragt, ob wir peregrinos, Pilger, wären. Sind wir – wir nicken eifrig, aber wir haben keinen Ausweis dabei. Dann ist der Eintritt für euch billiger, sagt man uns. Aha. Man glaubt uns auch ohne Ausweis, dass wir pilgern. Sehen wir jetzt schon so fertig aus? Auf das Faltblättchen, das man fast immer in Kirchen bekommt, für die man Eintritt zahlen muss, lassen wir uns unseren ersten Stempel geben. Mit diesem erhebenden Erlebnis endet unser Rundgang durch Pamplona.

Die gotische Kathedrale Pamplonas, errichtet zwischen 1397 und 1530, mit einer im 18. Jahrhundert von Ventura Rodriguez in neoklassischem Stil neugestalteten Fassade, zählt zu den bedeutendsten religiösen Bauwerken in Spanien. Besonders wertvoll ist das Klaustrum. Im mittleren Kirchenschiff befindet sich das Königs-Mausoleum aus Alabaster, errichtet 1415. Erwähnenswert sind auch der Altar aus dem 15. Jahrhundert, die Barbanza-Kapelle aus dem 14. Jahrhundert, die Fuente de la Cruz mit dem Grabmal der Grafen von Gades und die Anbetung der Könige  sowie die Reliquien des heiligen Grabmals und des Lignum Crucis im Diözesanmuseum.

 

    

  

Königsgrab aus Alabaster

Gegen 12 sind wir wieder auf dem Campingplatz und setzen nach einem erfrischenden Bad im Pool unsere vorerst noch motorisierte Pilgerschaft zum Grab des Heiligen Jakob fort.

Nun sind wir also auf dem "wahren" Camino de Santiago. Von Pamplona bis Sarrià werden wir per Womo zu den Hauptstationen des Camino francés "pilgern" und die letzten Stationen von Sarrià bis Santiago de Compostela zu Fuß zurücklegen.

Gesamtroute von Pamplona bis Sarrià (Beginn der Pilgerwanderung)

Route 1: Von Pamplona bis Santo Domingo de la Calzada - 156 km

Vor Puente la Reina biegen wir von der Route rechts ab und folgen der Beschilderung zur Kirche Santa Maria de Eunate, die wenige Kilometer entfernt inmitten von Feldern liegt.

Wenn man sich der Kirche nähert, spürt man bereits den eigenartigen Zauber, der von diesem Ort ausgeht.

Eunate - sein Ursprung liegt im Dunkeln. Einsam liegt es, umrahmt von Sonnenblumen- und Weizenfeldern, und soll ein Ort sein, der dem Menschen innere Kraft gibt.

Santa Maria de Eunate ist eine romanische Kirche am aragonesischen Zweig des Jakobswegs in Navarra. Die Kirche hat einen achteckigen Grundriss und eine außen fünfeckige und innen halbrunde Apsis. Das Oktogon ist kunstvoll mit zwei Portalen und Arkaden versehen, die kleinen Fenster sind aus Alabaster, die Kapitelle und die Portale sind reich verziert. Mozarabische Einflüsse lassen sich an den wulstigen Rippen ablesen, die sich, von den Pfeilern ausgehend, in der Kuppel des Kirchenraums treffen und das Gewölbe tragen.

Außen ist die kleine Kirche von Arkaden umbaut, die dem Bauwerk wohl zu seinem Namen verholfen haben (baskisch: Eunate – hundert Tore, hunderttorig). Der Arkadenumgang ist wiederum von einer Mauer umgeben. Aus den fehlenden Bauspuren schließt man, dass es zwischen Kirche und Arkadenumgang nie eine Überdachung gegeben hat, wie sie andernorts zum Schutz der Pilger vor Witterung und als Übernachtungsmöglichkeit errichtet wurde.

Die Kirche wurde vermutlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im romanischen Stil und mit mozarabischen Einflüssen erbaut. Da sie von keiner Siedlung umgeben ist und bei Grabungen Gräber mit Muscheln als Grabbeigaben entdeckt wurden, liegt die Vermutung nahe, dass sie als Friedhofs- oder Hospizkirche für Pilger diente. Möglicherweise war sie aber auch eine Kapelle, die die Templer als Heiliggrabkirche nutzten, dafür spricht die Vorliebe der Templer für den Zentralbau. Zudem besteht eine Ähnlichkeit zur nahe gelegenen Heiliggrabkirche in Torres del Río.

Die Lage der Kirche, ihre teilweise ungeklärte Geschichte sowie die spezielle Stimmung in der Kirche regten viele Menschen zu Spekulationen an. So existiert in der Gegend der Kirche eine Sage, die die Ähnlichkeit des Kirchenportals mit dem einer anderen nahen Kirche dem Wirken übernatürlicher Kräfte zuschreibt, während sie wohl nur Beleg für das Wirken des gleichen (unbekannten) Steinmetzes ist. Weiterhin glauben Anhänger bestimmter esoterischer Richtungen, dass Eunate neben Notre Dame de Paris und dem Taj Mahal einer der vier Kraftorte dieser Erde sei.

In der einheimischen Bevölkerung soll Santa Maria de Eunate vor allem als Hochzeitskirche beliebt sein. Hier würde ich mich auch trauen, wenn die katholische Kirche uns noch mal ließe…

 

Vor der Kirche rasten einige völlig erschöpfte Pilger. Es ist heiß, und die letzte Wegstrecke, die sie heute zurückgelegt haben, hatte es in sich (habe ich im Pilgerführer gelesen) - trotzdem - ich würde gerne mit ihnen tauschen. Schon jetzt spüren wir die Anziehungskraft, die der Jakobsweg ausübt. Hier an diesem Ort wären wir gerne zu Fuß und mit unserem Gepäck auf dem Rücken angekommen. Günther fühlt sich sogar regelrecht schuldbewusst, weil wir hier mit dem Womo vorgefahren sind.

In Eunate holen wir uns den ersten Stempel für den „credencial de peregrino“, unseren Pilgerpass. Vor der nahe der Kirche stehenden urigen „Albergue“, steht ein Tisch mit dem eminent wichtigen Utensil.

 Und da prangt er also nun in unseren Pilderausweisen: Der erste Stempel!

Wer die Albergue von Eunate betreibt, können wir vor Ort nicht herausfinden. aber – Internet sei Dank – daheim an meinem PC bin ich fündig geworden. Im Pilgerforum von Thekla und Aloys schreibt Jochen Schmidtke, von dem wir später in Santiago noch hören werden:

“Ich war Mitte April 2007 in St. Eunate. Es gibt im Internet viele widersprüchliche Infos zu dieser Unterkunft. Es steht zwar ein Schild "Albergue" an dem Haus und ein Tisch mit einem Stempel davor. Weil ich zuverlässige Infos für mein Unterkunftverzeichnis haben wollte habe ich dort angeklopft. Die Bewohner des Hauses, ein Mann und eine Frau (die Deutsch sprach), erklärten mir ausdrücklich, daß das Haus ein privates Wohnhaus sei. Es sei aber KEINE richtige Herberge. Sie haben zwar einen Raum mit 8 Betten für Pilger und nehmen auch Pilger auf.
Wenn sie eine "richtige" Herberge wären, müßten sie aber einen Teil ihre Freiheit aufgeben und einer von ihnen ständig im Hause sein um die Herberge offen zu halten.Quintessenz: Man kann sich nicht auf die Öffnung dieser Herberge verlassen und sie in seinen Etappenplan einbauen.“

So ist zum Glück meine Neugierde nun befriedigt.

Schweren Herzens reißen wir uns von Eunate los, um unseren Weg fortzusetzen, der uns nach kurzer Fahrt nach Puente la Reina bringt, wo der aragonesische Zweig des Jakobswegs, der Camino francés, auf den von Norden kommenden Pilgerweg, den Camino Inglés, trifft. Bei Obanos befindet sich die historische Weggabelung, wo sich die vom Cisa- und Somport-Pass kommenden Pilgerwege vereinen. Der gemeinsame Weg führt dann über die alte Brücke der Königin, die Puente la Reina, die den Fluss Arga überspannt.

Am Ortseingang von Puente la Reina entdecken wir ein Pilgerdenkmal, das in knapp zwei Wochen auch zu unseren Ehren dort stehen wird…

Puente la Reina - Name und Entwicklung sind mit der von der navarresischen Königin Dona Mayor, Frau des Königs Sancho Mayor, oder ihrer Schwiegertochter gestifteten Brücke verbunden. Bei aller Unsicherheit bezüglich der Stifterin, sicher ist die Konstruktion der Brücke in der ersten Hälfte des 11. Jahrhundert. Weil Flussüberquerungen gefährlich, Umwege weit und Fährdienste teuer waren, konzentrierten sich daher die Pilgerströme schnell auf diese Brücke. Es folgten die Ansiedlung von Franken und die Gründung eines Marktfleckens. Die Entwicklung der Stadt ist Beispiel für die Infrastrukturprojekte dieser Zeit und ihre Wirkung und ist am Jakobsweg in vergleichbarer Form häufig zu finden.

Sehenswürdigkeiten:

 

Iglesia del Crucifijo - Kirche des ehemaligen Templerklosters (13./14. Jh. mit einem romanischen Portal von der vorherigen Kapelle stammend und einem Y-Kreuz der Spätgotik als Besonderheiten. Letzteres soll aus dem Rheinland stammen.

Santiago-Kirche - 12.–16.Jh., mit einem typisch navarrischen romanischen Zackenportal. Der Turm stammt aus dem 18. Jh., am Portal verwitterte Szenen der Schöpfungsgeschichte, innen Holzfigur Santiago Peregrino mit Stab und Muschel aus dem 14. Jh.

 

Beachtenswert sind auch die alten, wappengeschmückten Adels- und Bürgerhäuser entlang der alten Hauptstraße. Bei vielen finden sich kunstvoll gearbeitete Dachsparren, ein Charakteristikum navarrischer Architektur.

Die sechsbogige romanische Brücke über den Arga-Fluss, die einen leichten Scheitelknick aufweist, darf heute nur noch von Fußgängern überquert werden, aber von der modernen neuen Brücke hat man einen guten Ausbick auf die "Brücke der Königin".

Iglesia del Crucifijo

Die Landschaft, die wir jetzt durchqueren, ist geprägt von Weizenfeldern und Weinplantagen. Wir fahren auf Logroño zu, das in der Rioja liegt, einem der bekanntesten Weinanbaugebiete Spaniens. Hier tummeln sich Weingüter und Burgruinen wie Enten am Teich (Foto unten: Castillo de Arnedo).

La Rioja, autonome Region im Norden Spaniens mit der Hauptstadt Logroño. La Rioja umfasst den westlichen Teil des Ebrobeckens und die Sierra de la Demanda, einen Ausläufer des Iberischen Randgebirges. Das Weinbaugebiet Rioja zählt zu den bedeutendsten in Europa; die Rebfläche ist mehr als 30 000 Hektar groß. Darüber hinaus werden Zuckerrüben, Ölbäume, Getreide und Gemüse angebaut. Zu den wichtigsten Produktionszweigen des insgesamt wenig industrialisierten Gebietes gehören die Herstellung von Textilien und die Verarbeitung von Nahrungsmitteln.

Logroño wollen wir eine Kurzvisite abstatten – Blick auf den Dom und die alte Puente de Piedra aus dem 12. Jahrhundert und Abmarsch. Dank unseres GPS-Empfängers klappt dieses Kurzsightseeing auch bestens.

Puente de Piedra

Logroño entstand an einer Furt des Flusses Ebro und wurde im 1. Jh. unter dem Namen Vareia Hauptort eines Keltenstammes. Neben der erwähnten Furt bauten die Römer neben der Furt eine erste Brücke. Im 6. Jh. wurde Logroño von den Westgoten zerstört. Im 8. Jh. eroberten die Mauren Logroño und nannten es Albaida – die Weiße. Sancho Garcés von Navarra eroberte es vereint mit König Ordoño II. von León, danach blieb es eine bedeutungslose landwirtschaftliche Siedlung und wurde 1092 durch El Cid, der zu dieser Zeit auf Seiten der Mauren kämpfte, abermals zerstört.

1095 wurde Logroño wieder aufgebaut und mit Stadtrechten versehen. 1099 erhielt die Stadt mit dem Neubau der Brücke das Privileg des Flussübergangs. Mit der Brücke wurde die Stadt zur wichtigen Pilgerstation am Jakobsweg. Damals entstand das Motto "la ciudad como el camino" – die Stadt richtet sich nach dem Wege.

Sehenswürdigkeiten: Kathedrale de La Redonda (siehe unten), Iglesia de San Bartolomé, Iglesia de Santa María del Palacio,

 

Die kleine Sightseeing-Tour durch Logroño hat uns nicht lange aufgehalten, und so sind wir bald wieder auf dem Camino Richtung Najéra, wo wir uns das Monasterio Santa Maria La Real ansehen wollen. Am Fluss Najerilla finden wir einen Parkplatz und eine Bar, wo wir uns ein eiskaltes Wasser / Bier genehmigen, bevor wir der malerischen Altstadt und dem Kloster mit seiner schönen alten Kirche einen Besuch abstatten. Zweiter Stempel!

   

Nájera - ehemals Hauptstadt der Rioja und Residenz der navarrischen Könige. Die Altstadt, ein enges Gewirr von Straßen und Gassen, die sich um die Plaza España gruppieren. Herzstück der Stadt ist das Monasterio Santa Maria La Real aus dem 11. Jahrhundert. Es wird von Kapuzinermönchen bewohnt, die sich  auch heute noch um erschöpfte Pilger kümmern. Besonders interessant ist das Pantheon der Könige in der gotischen Klosterkirche. Die Grabdeckel navarrischer und kastilischer Könige, versehen mit prächtigen Skulpturen, legen Zeugnis von der großen Vergangenheit des Ortes ab. Auch der Kreuzgang des Klosters lohnt einen Besuch.

Monasterio Santa Maria La Real

Auch hier muss man, wie in vielen spanischen Kathedralen und Klöstern, Eintritt bezahlen. Da es aber in Spanien keine Kirchensteuer gibt, ist es verständlich, dass die Kirche und der Staat zum Erhalt der vielen wunderbaren Sakralbauten Geld eintreiben muss.

 

Königsmausoleum

Nun sind wir aber rechtschaffen müde (obwohl wir ja noch keinen Meter gepilgert sind) und wollen nur noch auf den anvisierten Campingplatz "Bañares" in Santo Domingo de la Calzada, den wir dann zum Glück auch auf Anhieb finden.

O jeh, das ist eine Campingstadt, wie wir sie gar nicht mögen (Satellitenbild unten links). Dauercamper mit Gartenzwergen vor der Tür (jeder hat natürlich sein eigenes Törchen und hohe Hecken um sein „Grundstück“). Aber – es gibt einen Pool mit olympischen Ausmaßen, herrlich gepflegt und wunderbar kühl. Zischend versenken wir unsere ausgetrockneten Körper in den blauen Fluten.

Am Abend sitzen wir  draußen vor dem Womo und philosophieren über den Jakobsweg, die Pilgerschaft und unsere Vorstellung, was sie für uns bedeuten könnte. Es ist gut, wieder gemeinsam über Gott und das jenseitige Leben zu reden. Zu lange haben wir das Thema aus unserem Leben verdrängt. – Aus Verzweiflung, Mutlosigkeit oder vielmehr tiefer Hilflosigkeit. Vielleicht wird der Jakobsweg uns ja nicht nur nach Santiago de Compostela und nach Finisterre, an das Ende der mittelalterlichen Welt, bringen, sondern auch wieder ein wenig näher zu Gott.

Samstag, 14.07.07

Morgens fahren wir ins Ortszentrum von Santo Domingo de la Calzada, um uns den alten Ortskern anzusehen und die wegen einer Kuriosität vermutlich berühmteste Kathedrale am Jakobsweg zu besichtigen.

Am Ortsausgang finden wir einen Parkplatz und spazieren durch eine schmale, idyllische Straße Richtung Kirche. Wir halten Ausschau nach einem Laden, der Wanderkleidung führt, weil Günther Wandersocken braucht. Wandersocken führende Geschäfte gibt’s hier wohl nicht, was uns wundert. Die Pilger könnten bis hierher längst ein Paar Strümpfe durchgelaufen und Bedarf an neuen haben. Immerhin finden wir einen Laden, der gutes Kartenmaterial anbietet und Jakobsmuscheln, die man sich an den Rucksack hängen kann.

Santo Domingo de la Calzada – Der Name des Ortes ist identisch mit dem seines Gründers, Domingo García, genannt Santo Domingo de la Calzada, der Ende des 10., Anfang des 11. Jahrhunderts hier für die vorbeiziehenden Pilger eine Brücke und ein Hospital erbaute sowie Wege anlegte und befestigte.

Heinrich II. von Kastilien starb 1379 in Santo Domingo de la Calzada.

Kathedrale

Baubeginn 1098, Weihe 1106. Die gotische Kathedrale wurde über einem romanischen Vorgängerbau errichtet. Sie ist dreischiffig und mit Chorumgang angelegt, der Grundriss entspricht einem lateinischen Kreuz, die Gewölbe sind die Kreuzgewölbe der Pilgerromanik. Der platereske Hochaltar wurde um 1540 eingebaut. Um 1158 wurde die Kathedrale zwecks der Aufnahme des Grabmals Domingo Garcías erweitert. Das Grabmal wird bestimmt von einer romanischen Alabasterfigur unter einem spätgotischer Aufbau, die Seiten sind mit Wunderszenen aus dem Leben und Wirken Domingo Garcías verziert. Das ebenfalls ihm zugeschriebene Hühnerwunder wird mit einem spätgotischen Hühnerkäfig gewürdigt, der von einem wechselnden Hühnerpaar bewohnt wird.

Die gesamte Kathedrale kann man nur durch Besuch des eintrittspflichtigen Kathedralmuseums besichtigen. Das Grabmal und den Hühnerkäfig allein kann man aber sehen, wenn man das Museum durch den Hinterausgang am Kathedralplatz / Plaza del Santo betritt.

Glockenturm

Bauzeit: 18. Jh., Höhe: 70 m. Er gehört baulich nicht zur Kathedrale, sonder steht ca. 10 m von ihr entfernt. Vom quadratischen Grundriss geht er in einen achteckigen Aufbau über und endet in einer runden Laterne. Er wird als schönster Barockturm der Rioja (Moza de Rioja) bezeichnet.

Plaza España

Zisterzienser Kloster

Kathedrale San Salvador

Die Kathedrale San Salvador ist wegen der im ehrwürdigen Gotteshaus gackernden Hühner die vermutlich berühmteste Kirche am Jakobsweg. Ein schneeweißer Hahn und eine ebensolche weibliche Lichtgestalt an seiner Seite leben dort in einem – zugegeben schicken - Stall über einem der Portale. Tiergerechte Haltung ist das sicherlich nicht, denke ich, als ich die Viecher dort beim Verlassen der Kathedrale endlich entdecke. Aber dann lese ich, dass die Tiere alle 6 Wochen ausgetauscht werden und sich dann erst einmal in einem "ordentlichen" Hühnerstall in der örtlichen Herberge von der Sonnenfinsternis in der Kirche erholen dürfen, bevor sie erneut zum Dienst antreten müssen. Ursache für diese Kuriosität ist eine Legende - wie so oft am Jakobsweg.

Legende von Santo Domingo de la Calzada: Eine Familie pilgerte im 14. Jahrhundert nach Santiago. In Santo Domingo versuchte die Magd des Wirtshauses den Sohn Hugonell zu verführen. Dieser wies sie jedoch zurück, worauf hin sie sich für die Zurückweisung rächte, in dem sie ihm einen Silberbecher in sein Gepäck steckte und ihn am nächsten Morgen des Diebstahls bezichtigte. Der junge Mann wird festgenommen und gehängt, doch bevor die Eltern die Reise fortsetzten, vernahmen sie seine Stimme, er hänge am Galgen, lebe aber noch, da er vom heiligen Jakobus noch an den Beinen gehalten würde. Die Eltern eilten sofort zum Richter, der im Wirtshaus gerade ein Huhn und einen fliegen davon - womit die Unschuld des Sohnes bewiesen war. Hahn verspeiste. Auf die Erzählung der Eltern lachte dieser herzhaft mit der abfälligen Bemerkung, ihr Sohn sei genauso lebendig wie die beiden Vögel auf seinem Teller. Kaum gesagt, wächst denen neues Gefieder und sie fliegen  davon - womit die Unschuld des Sohnes bewiesen war.

Seitdem leben ein Huhn und ein Hahn in der Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada.

 

Na gut, nette Geschichte. Das Innere der Kirche ist sehr duster und verkörpert für mich vieles, was mich an der katholischen Kirche stört: Zu wenig positive Ausstrahlung, Muff von Jahrhunderten der Unterdrückung von Gläubigen, Gebote, die gänzlich unnötig sind - oder wo steht in der Bibel, dass Priester nicht heiraten dürfen, oder dass man an die Unfehlbarkeit des Papstes glauben muss, oder dass man in dieser Kirche nicht fotografieren darf, nicht einmal ohne Blitz? Und was mache ich, wenn ich Ge-/Verbote nicht verstehe? Ich umgehe sie – wie viele andere Katholiken auch. Und was hat die Kirche jetzt davon? Nix.

Den Störchen ist das egal, sie scheren sich nicht um Verbote der Kirche und bauen ihre Nester ungeniert auf den Kirchendächern.

Route 2: Santo Domingo de la Calzada bis Sahagun - 265 km

Hinter Santo Domingo de la Calzadas verlassen wir die Rioja und kommen in die autonome Region Castilla y Léon.

Kastilien (spanisch: Castilla) - Auf seinem Höhepunkt im Spätmittelalter erstreckte es sich vom Golf von Biscaya im Norden bis Andalusien im Süden und umfasste den Großteil der Iberischen Halbinsel. Altkastilien, dessen Name von der Vielzahl alter Burgen an der Grenze zum Herrschaftsbereich der Mauren herrührt, stand vom 8. Jahrhundert bis 1037 unter der Herrschaft der Könige von Asturien und León, als Ferdinand I. das Vereinigte Königreich von Kastilien und León gründete. 1058 wurde beim ersten einer Reihe von Kriegszügen gegen die Mauren das spätere Neukastilien erobert. Das Königreich vergrößerte sich vor allem während der Regentschaft von Alfons VI. (1065-1109). Unter Alfons X. entwickelte sich das kulturelle Leben des Königreiches, doch folgte eine lange Periode innerer Spannungen. 1469 bildete die Heirat von Ferdinand II. von Aragonien (dem späteren Ferdinand II. von Kastilien) mit Isabella I. von Kastilien und León die Grundlage für die Vereinigung der Königreiche von Aragonien und Kastilien, schließlich von ganz Spanien.

Heute lebt der Name Kastiliens in zwei autonomen Regionen Spaniens fort: Castilla-La Mancha (Hauptstadt: Toledo) und Castilla y León (Hauptstadt: Valladolid).

Unsere Fahrt wird begleitet von Sonnenblumen- und Weizenfeldern, die sich bis an den Horizont erstrecken. Es ist heiß heute. Hoffentlich halten wir diese Temperaturen während unserer Pilgerwanderung aus.

 

Der nächste Stopp des Tages ist in Burgos.

Burgos besteht aus der Altstadt am Westufer des Arlanzón und dem modernen Stadtteil am Ostufer.

Die Stadt wurde im neunten Jahrhundert gegründet und war von 1035 bis 1560 Hauptstadt des Königreiches Kastilien und León. 1074 wurde sie Bischofssitz und 1574 Sitz des Erzbischofs. Im 15. Jahrhundert war Burgos Handelszentrum von Kastilien, verlor später jedoch immer mehr an Bedeutung. 1833 wurde Burgos Provinzhauptstadt. Im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) war Burgos bis zur Eroberung Madrids Sitz der nationalistischen Regierung General Francos.

Uns ist klar, dass es hier problematisch sein wird, einen Parkplatz in der Nähe der Kathedrale zu finden. Hier liegt auch die schöne alte Puente de Santa Maria, und siehe da, nachdem wir sie überquert haben, entdecken wir rechts der Brücke einen Busparkplatz. Jetzt sagen wir einfach mal, dass unser Hiram ein Bus ist, und setzen ihn hier für eine halbe Stunde ab.

Puente de Santa Maria

Auf der Puente de Santa Maria (Foto unten) überqueren wir den Rio Arlanzón, einen der beiden schmalen Flüsse, die durch Burgos fließen und gelangen auf den Paseo Empecinado, die schön gestaltete Uferstraße, die entlang der Altstadt verläuft. Wenn wir uns nach rechts wenden würden, kämen wir zum El Cid-Denkmal, das ich gerne gesehen hätte, aber wir müssen uns leider auf die Besichtigung der Kathedrale beschränken.

So schreiten wir also durch das Stadttor Puerta de Santa Maria (Foto oben) aus dem 16. Jahrhundert, das mit schönen Statuen geschmückt ist, und erreichen nach wenigen Metern die trutzige Kirche, die den Menschen in Burgos sicher ebenso viel bedeutet wie uns der Kölner Dom.

Ob es hier auch so herrliche Dom-Lieder gibt? Am Dom zu Kölle, zu Kölle am Rhing, da läuten die Gocken, so prächtich un fing, singt es da gleich in meinem Kopf. Da ist er wieder, mein Lokalpatriotismus. -  Am Dom zu Burgos am Fluss  Arlanzón, da läuten die Glocken so prächtich un – ja, was reimt sich jetzt vernünftig auf Arlanzón? Schluss damit, jetzt haben wir dafür gar keine Zeit! Außerdem erfordern andere Kulturen, dass man umdenkt. Vielleicht lasse ich ja das mit den Glocken und reime was auf die Türme – zum Beispiel: sieht man die Türme von weitehem schon. Na ja. - Noch mit dem neuen Burgos-Hit beschäftigt, trifft mich der Anblick der trutzigen Kathedrale mit voller Wucht.

Nachdem wir uns lange in ehrfurchtsvoller Bewunderung dieses Bauwerks auf dem Platz vor der Kathedrale aufgehalten haben, kümmern wir uns um die Eintrittsbilletts zur Besichtigung der Kirche. Wir erhalten wieder verbilligte Tickets für arme Pilgersleut’ (1 Euro gegenüber 4 Euro Normalpreis) und einen feinen Stempel.

Die Kathedrale von Burgos (1221 begonnen und 1567 vollendet) ist eines der schönsten gotischen Bauwerke Spaniens. Nach den Kathedralen von Sevilla und Toledo hat Burgos die drittgrößte Kathedrale Spaniens vorzuweisen. Zwei 84 m hohe Türme beherrschen die Hauptfassade. Die Bischofskirche ist aus weißem Kalkstein und hat einen zweigeschossigen Kreuzgang. Das Innere der Kathedrale besitzt ein riesiges ausgeschmücktes Kuppelgewölbe im Mittelschiff im plateresken Stil, das von Juan de Vallejo im Jahre 1568 kreiert wurde. Unter einer Kupferplatte befinden sich hier die Gräber von Fernán González und El Cid, den Nationalhelden von Burgos. Über die „Escalera Dorada“, einer vergoldeten Treppe von Diego de Siloë gelangt man zur Puerta de la Coronería. Das zweireihige Chorgestühl ist vom Rest der Kathedrale abgetrennt und wurde 1521 von Felipe Vigarny konstruiert. Besonders bemerkenswert ist das Portal, "Puerta de Sarmental" und die Kapelle "Capilla del Condestable" aus dem 15. Jahrhundert. Unter der gezierten Kuppel liegen seit 1921 der Nationalheld Spaniens, El Cid, und seine Gemahlin Jimena begraben.

Die UNESCO hat die Kathedrale zum Weltkulturerbe erklärt

  

Kuppel im Hauptschiff

Chorgestühl

  

links: Grabplatte des Cid

Capilla del Condestable


Die Capilla del Condestable wurde von Simon von Köln für den Obersten Feldherren Kastilien-Leóns Pedro Hernández de Velasco im Jahre 1494 erbaut. Dieser ist hier auch neben seiner Gattin beerdigt. Ihre Gräber sind jeweils mit nachgebildeten Figuren geschmückt.

Das Condestable-Grabmal                           

Kuppel der Kapelle  

 

Puerta del Sarmental

Gerne wären wir nach der Besichtigung der Kathedrale noch ein wenig über den Paseo del Espolón geschlendert, der wunderschön angelegt sein soll, aber wir wollen unser Glück nicht strapazieren – vielleicht haben wir ja bisher noch keine Knolle bekommen. Und wirklich: Unser Womo wartet frei von lästigen Zetteln an der Windschutzscheibe auf dem Busparkplatz auf seine Bewohner.

Die Fahrt durch die Meseta, die wir uns viel trostloser vorgestellt hatten, geht weiter. So weit das Auge reicht goldene Weizenfelder. Man kann sich gut vorstellen, dass Hape Kerkeling auf dieser Etappe durch die Meseta Probleme mit den Augen hatte. Wenn man stundenlang nur den in der Sonne hell leuchtenden Weizen sieht, kann das sicher sehr schmerzhaft für die Augen sein. Viele Pilger berichten wohl, dass die Wanderung durch die Meseta mit zu den stärksten Eindrücken ihrer Pilgerschaft gehört. Manche glauben, vier Horizonte zu sehen. Na bitte, der Camino erweitert den Horizont also nicht nur im übertragenen Sinne.

    

Unser nächstes Etappenziel ist Frómista mit seiner alten Kirche San Martin, die die schönste Kirche sein soll, die die Romanik in dieser Gegend hervorgebracht hat. Der Name Frómista kommt aus dem Lateinischen - frumentum = Weizen. Logisch, so viel Weizen haben wir bisher nur auf Sizilien gesehen.

Als wir in dem kleinen, verschlafenen, eher unansehnlichen Nest ankommen, sehen wir erst einmal zwei trutzige Kirchen, die zwar wegen ihrer Gewaltigkeit imposant aussehen, aber nicht recht zu der Beschreibung von San Martin passen, doch dann entdecken wir die kleine Kirche, die wirklich wunderschön in der Ausgewogenheit ihrer Architektur ist. Leider ist sie im Sommer von 14 – 16.30 Uhr geschlossen. Es ist gerade 14.45 Uhr. Da wir San Martin aber unbedingt besichtigen möchten, genehmigen wir uns eine Siesta in einem kleinen Lokal, essen Tortilla mit Kartoffeln und Pilzen und tun etwas für unseren Wasserhaushalt. Es ist heiß wie in einem Backofen!

Denn verschlossen war das Tor…

Um 16.30 Uhr finden wir uns mit einigen anderen vor der Kirchentür ein, aber niemand kommt, um uns einzulassen. Erst nach gut 10 Minuten erscheint der Mann mit dem Schlüssel – und einem Stempel.

Die Kirche San Martin ist das einzige Überbleibsel eines einst mächtigen benediktinischen Klosters. Zwar fehlt der ihr im Zentrum des kleinen Ortes der geheimnisvolle Zauber einer abgelegenen Kapelle wie Eunate, aber sie gehört zweifellos zum Schönsten, was die Romanik in Europa hervorgebracht hat. Der helle, freundliche Sandsteinbau aus dem 11. Jahrhundert zeigt eine außergewöhn­liche Harmonie und Ausgewogenheit: die bedachtsam gewählten Proportio­nen, die durch schlichte Würfelfriese und ebenmäßige Bögen aufgelocker­ten Fassaden, die zwei schlanken, aber doch gewichtigen Rundtürme sowie die sparsame und akzentuierte Dekoration machen aus San Martin ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk. Die 315 figürlich gestalteten Dachkonsolen verraten viel über die Bil­derwelt der Romanik. Auch das schlichte und lichte Innere wirkt formvollendet und harmonisch. Fast schon zu gründlich wurden die Kapi­telle und Bildhauerarbeiten Ende des vergangenen Jahrhunderts restauriert und einzelne Skulpturen ganz ersetzt (ein »R« kennzeichnet diese Arbeiten).

Hier ist ein frühromanischer Bau durch kluge Planung, handwerkliches Können und königliches Mäzenatentum ‑ Sofia Mayor, die Frau des navarri­schen Königs Sancho, stiftete 1066 den Bau ‑ zur Perfektion gelangt.

Geöffnet ist San Martin täglich von 10 ‑ 14 und 16.30 ‑ 20 Uhr (1.10. ‑ 30.6. Mo und Di geschlossen). Der Eintritt ist frei.

Das lange Warten hat sich gelohnt. San Martin beeindruckt uns wirklich. Dieser klar gegliederte, schlichte Kirchenraum, der von Licht durchflutet ist, vermittelt eine völlig andere Botschaft als die dunkle Kathedrale in Santo Domingo de la Calzada, in der ich mich gestern wirklich bedrückt fühlte. Sozusagen eine frohe Botschaft… Es muss schön sein, in dieser Kirche ein Kind zu taufen, ihm hier das Motto mit auf den Lebensweg zu geben: Der Glaube an ein göttliches Wesen macht glücklich und frei von Lebensangst.

 

Sankt Martin und Sankt Jakobus

Es ist 18 Uhr, als wir in Sahagún ankommen. Der Campingplatz Pedro Ponze liegt ca. 1 km hinter dem Ortsausgang und ist ein Abklatsch des gestrigen Platzes – geprägt von Dauercampern, nur ein wenig kleiner und nicht ganz so komfortabel. Zwischen Wohnwagen und Vorzelten findet unser Hiram ein Plätzchen und ist die Sensation des Tages für alle in den Vorzelten herumsitzenden Mamas, Papas, Omas, Opas und Pänz (mit überwiegend grimmigen Gesichtern).

Camping Pedro Ponce
Carretera León 1
24320 Sahagun, Spain
Tel. 987 780 415

Einige Meter entfernt liegt das städtische Schwimmbad, zu dem wir kostenlos Zutritt haben. Klar, dass wir sofort in Richtung Wasser spurten. Inmitten der blauen Fluten sind wir schon wieder Hauptgegenstand des Interesses. Bevor ich mich wundern kann über so viel Aufmerksamkeit, macht Günther mich darauf aufmerksam, dass außer uns alle Schwimmer Badekappen tragen. Er hat irgendwas von „obligatoro oder so“ am Eingang gelesen, „und da konnte man auch welche kaufen“. Egal, wir haben sowieso kein Geld dabei, um eine zu kaufen.

Am Abend gehe ich früh schlafen, weil meine Augen, die schon seit Tagen entzündet sind, sehr schmerzen. Günther sitzt noch lange vor dem Womo, philosophiert, nickt ein and so on…

Sonntag, 15. Juli 2007

Eine Besichtigung von Sahagún verkneifen wir uns heute Morgen. Es reizt uns nicht sehr, obwohl hier im 11. Jahrhundert das bedeutendste Clunia-zenserkloster Spaniens war. Cluniazenser lebten streng nach der alten Benediktinerregel, d.h. unbedingter Gehorsam gegenüber dem Papst und dem Abt, was die weltbeherrschende Stellung des Papsttums vorbereitete. Von diesem Kloster gibt es allerdings so gut wie nichts mehr zu sehen.

 Interessant soll die Backsteinkirche San Tirso aus dem 12. Jahrhundert sein (Di – Sa 10.30 – 13.30, 16 – 19 Uhr, So 10 – 13.30 Uhr). Sie zeigt die Einflüsse der arabischen Architekten, die auch nach der Rückeroberung der Stadt von den Mauren (9. Jh.) noch lange im Dienste der Christen auch auf den Kirchenbau Einfluss hatten. Nach diesen Mudéjaren ist auch der Baustil benannt, der die großen Kirchen der Stadt bezeichnet. San Tirso ist mit dem viereckigen Turm, den dreistöckigen Arkaden, den angedeuteten Hufeisenbögen und der schlichten Ornamentik das besterhaltene Beispiel. Die Kirche wurde aus Backsteinen erbaut, weil es in der Region keine Steinbrüche gibt.

Hört sich gut an, aber – wie gesagt – wir verweigern uns mal einer noch so interessanten Besichtigung, denn heute erwartet uns noch ein echtes Highlight: die Kathedrale von Léon.

Route 3: Sahagún bis Sarrià - 184 km

Wir setzen unsere Fahrt durch die Meseta fort, anfangs entlang des Pilgerweges, auf dem heute Morgen reger Betrieb herrscht. Es ist schon erstaunlich, wie viele junge, aber auch ältere Menschen diese lange Wanderschaft nach Santiago auf sich nehmen. Inzwischen sind wir in der Landschaft von Léon angelangt.

Die Stadt León mit ihrer wunderschönen Kathedrale ist unser erstes Ziel am heutigen Sonntag.

León, Hauptstadt der Provinz León, am Zusammenfluss von Bernesga und Torío gelegen. León ist das Zentrum einer fruchtbaren, intensiv landwirtschaftlich genutzten Region, in der Getreide- und Obstanbau sowie Viehzucht betrieben werden. Die Wirtschaft der Stadt konzentriert sich auf die Nahrungsmittelindustrie (Molkerei-, Fleisch- und Getreideprodukte); daneben sind noch die Metall verarbeitende und die chemische Industrie von Bedeutung.

  • Sehenswürdigkeiten
  • gotische Kathedrale Santa María de Regla (13.-14. Jahrhundert), eine der schönsten ganz Spaniens, mit spätgotischem Kreuzgang
  • romanische Kirche San Isidoro (1149 fertig gestellt) mit romanischen Farbglasfenstern, dem mit romanischen Fresken ausgestatteten Pantéon de los Reyes und bedeutender Bibliothek
  • Kloster San Marcos (1513-1549)
  • Rathaus
  • Palacio de los Guzmanes aus dem 16. Jahrhundert
  • Casa de Botines (1892-1894) des katalanischen Architekten Antoni Gaudí.

Wir finden zum Glück in der Nähe der Kathedrale, unterhalb der alten Stadtmauer einen großen Parkplatz und sind nach wenigen Metern an der Kathedrale.

Stadtmauer mit der Kirche San Isidoro

 

Kathedrale Santa Maria de Regla

Kreuzgang

Um 12 beginnt die Messe, und da heute Sonntag ist, wollen wir zumindest den Anfang miterleben. Wir finden das Ganze etwas blutleer – kein Gesang, der Pastor redet so trocken – lammer jonn (wir gehen lieber)! Die "frohe Botschaft" unseres Glaubens - hey, ihr seid erlöst! - könnte wirklich freudiger verkündet werden. Kein Wunder, dass unsere Kirchen so leer sind!

Casa de Botines - von Antono Gaudi erbaut für eine Leoneser Bank

Palacio de los Guzmanes

Nordwestlich der Kathedrale: Die Königliche Stiftskirche Basilica de San Isidoro

Die Basilica de San Isidoro ist durch ein 600 m langes Stück Stadtmauer mit der Kathedrale verbunden. Sie gilt als ein Musterbeispiel spanischer Frühromanik und birgt die Reliquien des Heiligen Isidro, dem ersten Erzbischof von Sevilla (seit dem Jahr 600). Hier konnten kranke Pilger an der Puerta del Perdon schon jetzt und nicht erst im noch weit entfernten Santiago den Ablass für ihre Sünden bekommen. Man darf gar nicht darüber nachdenken, wie die Kirche über Jahrhunderte bis in die heutige Zeit den Menschen Angst vor der Verdammnis machte.

Nach unserem Rundgang durch Leon finden wir unseren Hiram unangetastet auf seinem Parkplatz wieder. - Die beiden "Brüche", die wir bisher erlebt haben, haben ihre Spuren hinterlassen - wir sind immer etwas nervös, wenn unser Womo irgendwo über eine längere Zeit unbewacht steht. Die Fahrt geht weiter nach Astorga, der alten Bischofsstadt am Fuß der Berge von Léon.

Im Mittelalter war Astorga ein Verkehrsknotenpunkt. Hier vereinigt sich der von Südspanien kommende Pilgerweg, die Via de la Plata (Silberweg) mit dem Camino Frances. Wie viele andere Orte am Camino wuchs die Stadt aufgrund der herbeiströmenden Pilgerscharen schnell. Es gab damals 12 Hospize für die Pilger, in denen diese sich vor der Bewältigung der nächsten Etappe, die über einen Pass führt, ein wenig ausruhen konnten.

Der Ort kam mit der Unterwerfung der keltiberischen Asturer durch die Römer 17 v. Chr. zum Römischen Reich; die Römer nannten den Ort Asturica Augusta und stationierten hier zeitweise eine Legion. Sie machten es zum wichtigsten Verwaltungszentrum in Westspanien und beuteten von hier aus die Goldminen in den Montes de León und im Bierzo aus. Mit den Golderträgen ging auch das römische Astorga nieder. In der Völkerwanderungszeit wurde die Stadt westgotisch, die Bevölkerung trat zum Christentum über. Anfang des 8. Jh.s wurde auch Astorga, wie der Großteil der Iberischen Halbinsel, von den Mauren erobert, doch gelang es bereits Alfons I., dem König von Asturien, die Stadt im Rahmen der Reconquista im Jahr 753 einzunehmen. Um 850 wurde wieder ein Bischofssitz eingerichtet und mit der zunehmenden Popularität der Wallfahrtsstätte Santiago de Compostela profitierte auch Astorga von seiner Lage am Jakobsweg.

Sehenswürdigkeiten

  • Kathedrale Santa Maria
  • Bischofspalast von Antoni Gaudí in neogotischem Stil gestaltet, in dem sich heute das Museo de los Caminos befindet
  • Rathaus, in einem Palast des 17. Jahrhunderts

Die gotische Kathedrale von Astorga wurde 1471 begonnen, aber erst im 16. Jahrhundert vollendet. Der dreischiffige Innenraum mit drei reich geschmückten Absiden enthält u. a. einen Hauptaltar von Gaspar Becerra.

Bei der Einfahrt in den Ort haben wir ein Schild entdeckt, dass eine Womo-Entsorgungsstation ankündigt. Da wir entsorgen müssen, suchen wir den Platz auf, der etwas außerhalb am Sportstadion gelegen ist, bevor wir unsere Fahrt fortsetzen.

Die Kathedrale ist leider von 13 bis 16 Uhr geschlossen, und diesmal wollen wir nicht so lange warten, bis sie geöffnet wird. Wir schauen uns noch die mittelalterliche Kirche neben der Kathedrale und den wenige Meter entfernten Palacio di Gaudi an, der in dem für ihn – in seiner frühen Schaffensphase – typischen gotischen Stil erbaut ist.

links: Kathedrale rechts: Palacio de Gaudi

Rathaus von Astorga, 17. Jh.

Gleich hinter Astorga gelangt man in die Maragateria, eine raue, aber faszinierende Landschaft. Bei ihren wenigen Bewohnern haben sich ungewöhnliche Sitten und Gebräuche erhalten. Man spekuliert, ob sie ein Gemisch aus Mauren und Goten oder Nachkommen eines versprengten Berberstammes oder eines asturischen Bergvolkes sind. Nichts Genaues weiß man… Der Jakobsweg führt jedenfalls mitten durch diese geheimnisvolle Gegend auf den Rabanal-Pass (1230 m) zu. Kaum haben wir den Pass überquert, wird es regelrecht dunkel, der Himmel hat sich vollkommen zugezogen, und es fängt auch wenig später an zu regnen. So liegt die Berglandschaft leider im Nebel.

Im strömenden Regen nähern wir uns Ponferrada, das wir mit seiner Templerburg aus dem 13. Jahrhundert  natürlich nicht einfach links liegen lassen dürfen. Darüber hinaus gibt es hier noch eine Basilika aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die mit dem imposanten Namen Nuestra Seniora de la Encina (Unsere liebe Frau der Eiche) aufwarten kann. Der Name basiert auf der Geschichte einer Madonnenerscheinung im Baumstumpf einer Eiche, die sich im 11. Jahrhundert zugetragen haben soll.

Ponferrada - Um das 11. Jahrhundert veranlasst Osmundo, Bischof von Astorga, den Bau einer Brücke für die Pilger des Jakobswegs. Eine Siedlung entstand an den Ufern des Sil um diese Brücke herum. Zuerst in der Hand der Templer gerät sie nach Auflösung des Ordens, unter anderem in den Besitz der Grafen von Lemos bis sie die Katholischen Könige für sich beanspruchten. Anlass hierfür war ein Streit zwischen dem Grafen von Lemos und seinem Sohn, im 16.Jahrhundert der zu mehreren Kämpfen und Besitzwechseln rund um die Burg führte. Schließlich erklärten die Katholischen Könige Burg und Stadt zu ihrem Besitz und beendeten so die Streitigkeiten.

Sehenswürdigkeiten

  • Burg von Ponferrada. Sie reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück und wurde im Laufe der Geschichte oft umgebaut. Ihre äußerste Mauer war früher zugleich die Stadtmauer des mittelalterlichen Ponferradas.
  • Die im Renaissance-Stil erbaute Basílica de la Encina (1614).
  • Der Torre del reloj (Turm der Uhr), das alte Stadttor.
  • Die mozarabische Kirche Santo Tomas de las Ollas, aus dem 10. Jahrhundert.

Einen Parkplatz finden wir direkt unterhalb der gewaltigen Burganlage (mit Tortürmen, Zinnen und einem Burggraben) auf einem Parkstreifen. Wir holen zum ersten Mal in diesem Urlaub unsere Schirme heraus und gehen die wenigen Schritte bis zur Burg, deren Eingang allerdings fest verschlossen ist.

Da sowieso die Gebäude im Inneren nicht intakt sind, sind wir nicht enttäuscht und wenden uns der Basílica Nuestra Señora de la Encina zu, die direkt hinter der Templerburg liegt. Ihren Namen verdankt die Kirche, die im 16. Jahrhundert erbaut wurde, einer legendären Marienerscheinung im Baumstumpf einer Eiche, die sich im 11. Jahrhundert zugetragen haben soll. In der Kirche ist eine interessante Ausstellung - "Yo Camino" (ich pilgere) - über den Camino untergebracht, die wir uns natürlich ansehen. Gegenstände und  Kunstwerke rund um den Pilgerweg (Bilder und Skulpturen) wurden hier in großer Bandbreite zusammengetragen. Zum Schluss wird man durch einen Gang geleitet, der alle Stationen des Camino zeigt von St. Jean Pied de Port bis Santiago de Compostela. Fotografieren ist leider verboten.

Für diesen Rundgang erhalten wir sogar noch einen Stempel, den einzigen dieses Tages, denn in Léon gab’s in der Kathedrale keinen, und in Astorga hat man uns ja leider die Kirchentür erst gar nicht nicht aufgemacht.

Bis zum Campingplatz in Villamartin de la Abadia ist es nun nicht mehr weit. Zum Glück ist es diesmal ein wunderschöner naturbelassener Platz auf einer Wiese unter hohen Bäumen und an einem kleinen Fluss, dem Rio Cua. Wir verzichten heute einmal auf Strom, damit wir direkt am Fluss stehen können, wo kein Stromanschluss ist. Hoffentlich wird aus dem Flüsschen bei dem Dauerregen in der Nacht kein reißender Fluss, meint Günther etwas zweifelnd.

 

Während ich Günther meine Memoiren des Tages vorlese, hört es zum Glück auf zu regnen. – O jeh, gerade beginnt es aber wieder leicht zu nieseln. Hätte ich es doch nicht geschrieben! Zumindest ist der Himmel wieder heller, und der Regen strömt nicht mehr so heftig. Auf dem Herd köchelt unser Abendessen (Spaghetti Bolognese) der Vollendung entgegen; jetzt machen wir’s uns gemütlich!

 

Montag, 16. Juli 2007

Um 10 lagen wir gestern im Bett und haben geschlafen bis um 9 heute Morgen. Nicht zu fassen! - würde Moritz sagen.

Heute Morgen lassen wir uns zum letzten Mal richtig Zeit mit dem Frühstück, denn ab morgen müssen wir uns sputen, um frühzeitig auf den Camino zu kommen.

Route 4: Von Villamartin de la Abadia bis Sarrià - 88,5 km

Gegen 11 fahren wir weiter. Erst einmal nach Villafranca del Bierzo, dem Ort am Pilgerweg, der ebenso wie Astorga für kranke und schwache Pilger oft der Endpunkt ihrer Wanderung war, denn auch hier konnte man, wenn man Santiago nicht mehr erreichen konnte, bereits den Ablass erhalten. Auf einem Hügel über dem Dorf liegt die kleine romanische Santiago-Kirche und das Tor der Vergebung – Puerta del Perdón (nur im Heiligen Jahr geöffnet, d.h. wenn das Jakobs-Namensfest auf einen Sonntag fällt), Rettungsanker vieler buchstäblich zu Tode erschöpfter Pilger. Villafranca, das übrigens ein denkmalgeschütztes Dorf mit vielen malerischen alten Häusern ist, nennt sich deshalb auch „La pequeña Compostela“ (das kleine Compostela). Es ist der letzte größere Ort vor Galicien.

Unser Womo stellen wir auf einem Busparkplatz am Ortseingang ab, denn Autos über 3 Tonnen können und dürfen nicht durch die engen Sträßchen fahren. Unterhalb der Santiago-Kirche liegt auch das Castillo de Villafranca, eine in Privatbesitz befindliche imposante Burg aus dem 16. Jahrhundert.

Castillo de Villafranca

Die romanische Santiago-Kirche beeindruckt uns in ihrer Schlichtheit sehr. Es brennen viele (zum ersten Mal echte) Kerzen und tauchen das Kircheninnere in ein wunderschönes Licht. Rechts neben einer Seitenkapelle mit einem herrlichen Barockaltar ist die „Stempelstelle“, besetzt mit einer freundlichen älteren Frau. In dieser alten Kirche, die schon so viel erlebt hat, fällt es selbst mir mit meinen vielen Zweifeln nicht schwer zu beten. Ich bete für unseren Sohn, der morgen Namenstag hat, und für einen guten Ausgang unserer Pilgerschaft, die morgen beginnen wird. Ob sich meine Hoffnung erfüllen wird, dass sich mein Glaube, den ich nach Frederiks Tod fast verloren habe, wieder festigen wird?

   

Stempelstelle Puerta del Perdón, 12 Jh.

   Die Albergue neben der Kirche ist urig - aber hier schlafen? Auwei, ich weißet nich.

  

Unsere Weiterfahrt führt durch eine grüne fruchtbare Berglandschaft mit viel Laubwald. Das Wetter ist ideal zum Wandern: trocken und eher kühl, denn der Himmel ist bedeckt. Hoffentlich bleibt es auch morgen so.

Hinter O Castro verlassen wir Kastilien-Léon und kommen in die Region Galicien, die Schottland sehr ähnlich sein soll. Da können wir ja schon mal schnuppern, denn Schottland ist im nächsten Jahr unser Womo-Reiseziel (falls Günther nicht wieder aus dem Bett fallen sollte…).

Galicien umfasst die Provinzen La Coruña, Lugo, Orense und Pontevedra; die Hauptstadt ist Santiago de Compostela. Die Region ist dank des maritimen Klimas die niederschlagsreichste in ganz Spanien und aufgrund der üppigen Vegetation überwiegend agrarisch strukturiert; daneben sind Fischerei und Forstwirtschaft, aber auch Bergbau, Eisen-, Stahl- und chemische Industrie sowie der Schiffsbau und die Seehäfen von wirtschaftlicher Bedeutung. In Galicien hat sich eine eigene Sprache erhalten, das Galicische, eine mit dem Portugiesischen verwandte Sprache, die 1975 als spanische Regionalsprache anerkannt wurde.

Galicien war zur Zeit der römischen Eroberung unter Augustus von keltischen Callaici bewohnt. Nach der römischen Eroberung wurde Galicien unter dem Namen Gallaecia oder Callaecia Teil der Provinz Hispanica citerior. 411 errichteten die germanischen Sweben in Galicien ein eigenständiges Königreich; 585 wurde es Teil des westgotischen Tolosanischen Reiches. 711 fiel die Region wie fast die gesamte Iberische Halbinsel an die muslimischen Mauren. Im 10. und 11. Jahrhundert war Galicien erneut jeweils für kurze Zeit ein selbständiges Königreich, gehörte ansonsten zumeist zum Königreich León und fiel mit diesem 1230 an die kastilische Krone. 1981 erhielt Galicien autonomen Status.

Von Villafranca aus haben die Jakobspilger den 1300 m hohen Cebreiro Pass vor sich - unser Hiram, der Pilger auf 6 Rädern, auch, und er bezwingt den Pass mühelos und ohne außer Puste zu kommen. Auf der Passhöhe liegt das Dörfchen O Cebreiro mit 100 Einwohnern und wahrscheinlich einem Pilger pro Einwohner – so erscheint es uns jedenfalls, als wir dort aussteigen, um uns den Ort anzuschauen.

Das Dorf ist nicht nur als ersehntes Ziel der Santiago-Pilger nach einer schweißtreibenden Etappe auf dem Camino Duro, dem harten Weg, bekannt, sondern auch wegen der urigen Palloza-Hütten. Diese Hütten wurden nach keltischem Vorbild als Rundbauten mit einem tief herunter gezogenen Strohdach gebaut. Mensch und Tier wohnten hier bis vor wenigen Jahrzehnten noch unter einem Dach, doch der Pilgertourismus brachte in den letzten Jahren so viel Geld ein, dass die meisten dieser Hütten, gut restauriert, heute als Herbergen, Bars und Andenkenläden ihren Besitzern den Lebensunterhalt sichern. Eine der Pallozas ist als kleines Museum hergerichtet.

 

 

 

Wegen der exponierten Lage am Jakobsweg entstand hier zunächst ein Kloster mit einem Hospital für die erschöpften Pilger. Heute ist davon nur noch die frühromanische Kirche Santa Maria la Real übrig geblieben, in der man einen Hostienteller und einen Kelch bewundern kann, die im Jahr 1300 an einem Wunder mitgewirkt haben sollen, als sich bei einer Messe vor den Augen eines armen Hirten Brot und Wein wirklich in Fleisch und Blut verwandelt haben sollen.

   

  

   

Das Wetter hier oben ist recht ungemütlich, und uns tun die vielen – überwiegend jungen – Pilger Leid, die in diesem Schmuddelwetter den Pass erklimmen mussten und nun, durchnässt und ausgekühlt, in vermutlich nicht gerade komfortabler Bleibe nächtigen müssen. Fast haben wir ein schlechtes Gewissen, als wir in unser gemütlich warmes Wohnmobil zurückkehren und die windige Passhöhe verlassen. Wir werden die Compostela ebenso erhalten wie die „echten“ Pilger, die die gesamte Strecke gewandert sind. Eigentlich ist das ganz schön ungerecht.

Pilgerdenkmal

Bei der Weiterfahrt durch das niederschlagsreiche Galicien, das mich tatsächlich sehr an Schottland erinnert, hoffen wir inständig auf gutes Wanderwetter… Das Kloster Samos, an dem wir vorüberkommen, wollen wir uns nicht ansehen, obwohl es sich lohnen würde, denn wir müssen heute schon unseren Roller in Portomarin, dem Ziel unserer morgigen Wanderung, abstellen, damit wir morgen nach der Wanderung von Sarrià nach Portomarin wieder zurück zu unserem Womo kommen, das in Sarrià, wo wir übernachten wollen, stehen bleiben soll. Ein bisschen kompliziert,oder?

Günther hat sich zuhause köstlich amüsiert, dass ich seine Logistik überhaupt nicht kapieren konnte, darum habe ich mir eine Zeichnung gemacht. Jetzt habe sogar ich es verstanden.

In Portomarin stellen wir den Roller an der Touristeninformation ab und fahren dann zurück nach Sarrià, wo wir in der Rúa Maior, ganz in der Nähe des Augustinerklosters La Madalena, das etwas oberhalb des Ortes in der Oberstadt gelegen ist, auf dem Parkstreifen an der Straße einen Stellplatz für die Nacht und den morgigen Tag finden.

Sarrià - An der Stelle des Städtchens befand sich früher ein Römerlager. Von der alten Geschichte des Ortes sieht man heute nichts mehr, die Stadt hat wenig Atmosphäre. Malerisch ist jedoch die Oberstadt, denn dort ist etwas von dem mittelalterlichen Flair Sarriàs erhalten geblieben.

Am Ende der Rúa Maior kann man die Reste einer Burg aus dem 13. Jahrhundert sehen – zumindest von außen. Die Burg befindet sich in Privatbesitz und kann nicht besichtigt werden. Ebenfalls in der Rúa Maior steht die romanische Kirche San Salvador. Von dort gelangt man auf einem Weg, der an der Kirche vorübergeht, zum Augustinerkloster La Madalena, in dem sich seit 1200 ein Pilgerhospiz befindet, das von zwei italienischen Pilgern gegründet wurde. Dort finden auch heute noch Pilger eine Unterkunft für die Nacht.

Am frühen Abend spazieren wir hinunter in den Ort, um noch einmal nach Wandersocken zu suchen. Hüte (und was für welche!) haben wir bereits unterwegs gefunden. Gleich der zweite Laden an der Geschäftsstraße, den wir passieren, ist eine Fundgrube für alle Camino-Pilger. Hier gibt es vom Blasenpflaster über Literatur, Wanderschuhen und -klamotten, Camino-Souvenirs, Fotozubehör (Akkus, Speicherkarten aller Art) bis zu Briefmarken alles, was man auf der Wanderschaft benötigen könnte. Wir kaufen uns einen weiteren Wanderführer, der sehr praktische einzelne Etappenkarten enthält nebst einer Kunststoffhülle zum Umhängen, des weiteren erstehen wir die ersehnten Wandersocken und schon mal – in weiser Voraussicht, dass wir sie, wenn wir sie brauchen, nicht finden, eine Menge Briefmarken. Anschließend kaufen wir in einem blitzsauberen, gut bestückten Supermarkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite Mineralwasser, Käse, Brot und eine Flasche Rosé aus der Rioja.

Beglückt über unsere Einkäufe genehmigen wir uns in einer Bar noch einen Milchkaffee, der hervorragend schmeckt, und machen uns dann auf den „Heimweg“, der uns durch das alte Viertel der Oberstadt führt, in dem sehr hübsche malerische Gassen mit urigen Kneipen zu finden sind. Hier kann man sicher einen geselligen Abschluss eines Pilgertages erleben.

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links: romantische Oberstadt, rechts: Burg aus dem 13. Jahrhundert

Nach dem Abendessen spazieren wir zum Monasterio La Madalena, um zu schauen, wann die Kirche am Morgen geöffnet wird. Wir wollen doch so gerne dort unseren ersten erwanderten Camino-Stempel bekommen. Etwas enttäuscht bringen wir in Erfahrung, dass sie erst um 11 geöffnet wird; das ist uns zu spät. Schade.

Augustinerkloster La Madalena

Vor dem Kloster, in dem eine Jungenschule untergebracht ist, spielen einige Burschen Fußball. Der Ball fliegt in meine Richtung, und ich habe ein Erfolgserlebnis: Schwungvoll schieße ich ihn zurück, belohnt von lautem Merci beaucoup- und Gracias-Gejohle der Jungen. – Ich winke cool zurück, kein Problem, Jungens! - Eigentlich treffe ich Bälle nie…


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Pilgerwanderung von Sarrià bis Santiago de Compostela